Vor einiger Zeit bekam ich eine Anfrage zu einer Schulpräsentation zum Thema „Lügenpresse“ und wie der Begriff entstanden sei. Ich war etwas verwirrt, aber habe der Dame meine Sichtweise dazu geläutert. Vor zwei Wochen sagte mir ein Kunde, dass er vor dem Workshop bei ihm meinen Namen bei Amazon gesucht habe und da seltsame Ergebnisse gefunden habe. Er wollte erst davon absehen, mich einzuladen, hatte dann aber korrekterweise geschlussfolgert, dass das dortige Buch nicht von mir stammte. Jeder, der da Zweifel hat, kann auf meiner persönlichen Autorenseite einen Überblick über die von mir geschriebenen Bücher erhalten.
Meine damalige Antwort war relativ kurz. Da ich allerdings bereits seit einiger Zeit mit dem Gedanken spiele, auch politische Ansichten zu den Geschehnissen in Deutschland auf meinem Blog zu teilen, dachte ich mir, dass ich dazu den Anlass jetzt mal nehmen kann, um meinen Blog umzufunktionieren und mit dem Begriff Lügenpresse anzufangen.
Hier ist, was ich der Dame damals geschrieben habe:
Meine Meinung dazu ist, dass wir uns die Kritikalität bewahren sollten, um Dinge, die wir in den Medien lesen, zu hinterfragen und immer wieder zweite Meinungen zum Beispiel aus anderen Quellen zulassen sollten. Damit meine ich, dass man selber evtl. auch die eigenen Fähigkeiten dazu aufbauen sollte, Hintergrundforschungen anzustellen, wie zum Beispiel im Buch The Leprechauns of Software Engineering von Laurent Bossavit verdeutlicht wird. Dazu zählt für mich aber vor allem auch, dass wir nicht nur die Meinungen der öffentlichen Medien hinterfragen, sondern vor allem auch den Kram, den Protagonisten für den Begriff „lügenpresse“ uns als Alternativen anbieten. Kritisches Hinterfragen hat also nicht nur eine Richtung, also die, die mir gerade in den Kram passt, sondern sollte auch die Gegenpropaganda in Betracht ziehen.
Keine Ahnung, wie es zu der Wortentstehung kam. Ich kann nur sagen, was Konfuzius vor langer Zeit mal sagte:
„Wer alles glaubt, was er liest, der sollte vielleicht weniger lesen.“
Was meine ich damit? Seit einiger Zeit beobachte ich eine Tendenz dazu, Artikel unüberprüft weiterzuverteilen, und was ich noch viel schlimmer finde, ist ein regelmäßiger Shitstorm auf satirische Beiträge, die auf der einen Seite zur Belustigung führen, und auf der anderen Seite zu noch mehr Aufregung. Außerdem bemerke ich eine Tendenz dazu, Dinge von Versammlungen nicht mehr zu hinterfragen, wenn sie einem in den Kram passen oder Verschwörungstherien anzunehmen, ohne diese zu hinterfragen. Manchmal scheint es mir, dass das gesamte Internet zu einer großen Verunsicherungsmaschine geworden ist, in der Gerüchte und Verschwörungstheorien nur so vor sich hinköcheln – während gleichzeitig Beiträge von Newsseiten überkritisch begegnet wird in Deutschland.
Häufig fällt in diesem Zusammenhang der Begriff „lügenpresse“, als ob die Presseabteilungen uns bewußt anlügen, wenn ein Beitrag einmal nicht zu den verbalen, vermeintlichen Fakten der Versammlungen passen. Vor einiger Zeit hatte ich eine Teilnehmerin in einem meiner Kurse, die einmal bei einer Presseseite gearbeitet hat. Die seriöseren unter ihnen validieren Beiträge – und einige müssen im Nachhinein auch schon einmal Nachrichten widerrufen, weil sie sich nachträglich als falsch herausstellen.
Lügenpresse?
Derzeit herrscht bei den Presseseiten ein regelrechter Konkurrenzkampf darum, wer die Meldung als erstes bringt. Die Teilnehmerin erzählte mir, dass bei einer Operation eines Prominenten einmal zwei Meldungen vorbereitet worden waren: „Prominenter tot“ und „Prominenter hat überlebt“ und man in den Redaktionshäusern auf die offiziellen Nachrichten der Agenturen wartete, um eine der beiden Varianten möglichst schnell veröffentlichen zu können.
Natürlich birgt dieses Vorgehen eine gewisse Gefahr, dass man überschnell Falschmeldungen verbreiten könnte. Die seriöseren Newsseiten warten deswegen darauf, dass besonders heikle Meldungen zunächst von drei unabhängigen Agenturen bestätigt sind, bevor sie damit an die Öffentlichkeit gehen. Die seriöseren Seiten nennen auch die Quellen, auf denen sie ihre Aussagen beruhen, so dass es eigentlich kein großer Aufwand sein dürfte, diese Quellen zu überprüfen.
Lügenfresse?
Das Problem ist, dass der Mensch zu einem sogenannten Confirmation Bias neigt. Dieser läßt einen zum Beispiel präferiert Webseiten mit Inhalten lesen, die zu seinem eigenen Bild passen. Damit landet man mit seinen Meinungen in einer selbstverstärkenden Schleife:
„Ich glaube X, deswegen ist alles, was X widerspricht, nicht wahr. Dadurch setze ich mich mit mehr Quellen auseinander, die meine Meinung zu X bekräftigen, weswegen ich immer mehr an X glaube.“
Ich habe beispielweise häufig den Eindruck, dass auf den Kundgebungen in Deutschland häufiger Fakten verdreht werden oder kritische Teile der Fakten ausgelassen werden. Im engeren Sinne des Wortes „lügen“ handelt es sich damit um gelogene Aussagen. Mit anderen Worten könnte ich analog zum Begriff „Lügenpresse“ für unsere Medien auch den Begriff „Lügenfresse“ für eben solche Aussagen von Veranstaltungen verwenden.
Zusammen mit dem beschriebenen Confirmation Bias befinden wir uns mit anderen Worten gerade im Kampf zwischen der Lügenpresse und der Lügenfresse – solange wir nicht beide Seiten mit der gleichen Kritikalität begegnen. Und genau darauf zielte meine Antwort an die junge Dame aus meiner E-Mail ab.