Das Problem ist nicht das Problem

Mindestens einer meiner Kollegen würde mich bei der Bemerkung „Das Problem ist nicht das Problem“ am liebsten prügeln. Aber hinter dieser Phrase verbirgt sich mehr, eine wesentliche Erkenntnis, die uns in der Softwareentwicklung wesentlich helfen kann. Genug für mich, diesem Thema einen vollen Blogeintrag zu widmen.

Zunächst einmal sollten wir definieren, was ein Problem ist. Zu Universitätszeiten meinte mein Mentor, dass es keine Probleme gibt, das seien alles nur Herausforderungen. In der realen Welt jedoch sprechen wir häufig von Problemen. Wie wirkt sich ein Problem aus?

Von Don Gause und Jerry Weinberg lernte ich in vielen kleinen Stories in Are your lights on?, wie man das Wort „Problem“ hilfreich definieren kann. Hierzu eine Geschichte, die ich vor Jahren einmal gehört habe, allerdings nicht weiß, ob sie der Wahrheit entspricht. Jede Form von Parallelen zu echten Firmen sind deshalb zufällig und nicht gewollt.

Die Fabel von der Sommerpause

Der Süßwarenproduzent Super Sweet Inc. hatte mit einem schwierigen Problem in dieser Sommersaison zu tun. Die Rückläufe in den Läden waren so hoch wie nie zuvor. Der Vorstand rief eine Expertenkommission ein, die sich dem Problem annehmen sollte.

Vor ein paar Jahren bekam ein Süßwarenproduzent einen erhöhten Rücklauf über die Sommermonate. Kunden kamen nach dem Öffnen der frisch gekauften Packungen in den Laden zurück, da die Schokoladenprodukte mit weißen Flecken ausgestattet waren. Auch die Umtauschprodukte zeigte vergleichbare Flecken auf.

Der Hersteller berief sofort eine Expertenkommission ein. Diese machte sich sogleich an die Ursachenforschung. Nach einigen Tagen des Forschens fanden die Experten heraus, dass die Schokolade keinesfalls verdorben war. Vielmehr bildeten sich wegen der verwendeten Rezeptur diese weißen Flecken. Diese sahen zwar optisch unattraktiv aus, bedeuteten aber keine Beeinträchtigung der Qualität der Produkte.

Die Experten setzten ihren Auftrag fort, und suchten nach einer Lösung für das Problem der weißen Flecken auf den Schokoladenprodukten. Sie experimentieren mit verschiedenen Rezepturen. Am Ende kamen die Experten zu dem Schluss, dass die weißen Flecken in der Schokolade nur vermeiden können, wenn die Schokolade anschließend anders – sprich mit schlechterer Qualität – schmeckt.

Der Konzern stand nun vor der Wahl. Sollten sie die Schokolade mit schlechterer Qualität produzieren? Oder sollten sie die weißen Flecken und den erhöhten Kundenrücklauf in Kauf nehmen in den Sommermonaten? Die Lösung für die Firma war verblüffend. Getreu dem Motto, „if you can’t fake it, feature it“ berief das Unternehmen seitdem eine Sommerpause für seine Produkte ein. So sind einige Produkte zwischen Monaten Juni und August aus den Einkaufläden unserer Nation verschwunden. Die Kunden warten sehnlichst auf das Ende der Sommerpause.

Was ist ein Problem?

Nun zu der Definition, was ein Problem ist. Ein Problem ist der Unterschied zwischen einem Zustand, wie er empfunden wird, und einem Zustand, wie er angestrebt wird. Um ein konkretes Problem also lösen zu können, muss ich mir zunächst darüber im Klaren sein, wo ich mich befinde, dann eine Vision erstellen, wo ich hin möchte, und dann – vielleicht in mehreren kleinen Schritten geleitet von Feedback – mich auf den Weg zu meinem angestrebten Zustand zu machen.

In der Fabel der Sommerpause war das Problem, dass die Leute wahrgenommen haben, dass sie verdorbene Ware gekauft haben. Dieses Problem hätte der Süßwarenhersteller auf verschiedene Weisen lösen können. Änderung der Rezeptur, Kühlung seiner Produkte oder die letztendlich gewählte Form von Einführung einer Sommerpause. All das verändert die Wahrnehmung des Problems beim Kunden. Das heißt, dass wir viele Probleme nicht nur durch Änderung von Software lösen können, sondern auch dadurch, dass wir die Wahrnehmung verändern. Ein prominentes Beispiel ist „It’s not a bug, it’s a feature“, was genau diesen Effekt haben soll.

Wieso ist das Problem nicht das Problem?

Aber wieso ist das Problem nicht das Problem? Nun, ein Problem existiert nicht von Natur aus. Es ist viel mehr eine Beziehung zwischen einer Person und einer Sache. Die Sache, die als Problem wahrgenommen oder empfunden wird, wird erst dann zu einem Problem, wenn jemand eine negative Reaktion auf diese Sache hat. Im Fall von unserem Süßwarenproduzenten war das beispielsweise die Kundenwelle, die die Süßwaren umtauschen ließ.

Das Problem an und für sich ist nicht das Problem. Vielmehr ist es ein Problem, dass der einzelne nicht weiß, wie er mit dem Problem umgehen soll. Das spiegelt sich auch in der Umformulierung zu einer „Herausforderung“ wider. Wenn wir von einem Problem sprechen, dann wirkt das zunächst abschreckend. „Oh mein Gott, wie soll ich mit all meinen Problemen jemals wieder Land sehen können.“ könnte ein Ausspruch eines Problem-geplagten Managers sein.

Wenn wir stattdessen uns darüber bewußt werden, dass das Problem gar nicht das Problem ist, sondern nur unsere Unfähigkeit mit der Situation umzugehen, eröffnet sich auf einmal ein großer Lösungshorizont. In der Tat können wir auf einmal klar sehen, wie sich das Problem lösen ließe. Vielleicht kommen wir sogar zu Lösungen wie der Einführung einer Sommerpause, die für andere eher wie sog. „out-of-the-box“ Denken aussieht.

Das nächste Mal, wenn Sie also vor einem Problem stehen, werden Sie Sich darüber bewußt, dass nicht das Problem das Problem ist, sondern Ihre derzeitige Unfähigkeit damit umzugehen. Konsulitieren Sie einen Kollegen oder machen Sie einen kurzen Spaziergang. Vielleicht fällt Ihnen danach eine bessere Lösung ein als die erstbeste, die Ihnen in den Kopf schießt. Denn wann nicht das Problem das Problem ist, sondern unsere Unfähigkeit mit dem Problem umzugehen das „echte“ Problem ist, dann ist das Problem letzten Endes unsere Unfähigkeit mit unserer Unfähigkeit mit dem Problem umzugehen.

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