Im System arbeiten vs. am System arbeiten

Diese Woche hatte ich eine Situation bei einem Kunden, bei dem ich mich zwangsweise an die In-On-Prime erinnern musste – und was ich in diversen Büchern dazu parallel über das „Arbeiten im System“ im Gegensatz zum „Arbeiten am System“ gelesen habe.

Arbeit im System vs. Arbeit am System

Der Kern der In-On-Prime ist, dass es einen Unterschied macht, ob wir im Arbeitssystem Wertschöpfung erbringen oder im System arbeiten, oder ob wir am Arbeitssystem selber Verbesserungen vornehmen oder am System arbeiten. Die In-On-Prime macht deutlich, dass ein Unterschied zwischen diesen beiden Arbeiten existiert.

Ich erinnere mich, dass ich in irgendeinem Buch aufgeschnappt habe, dass ein Manager einer Organisation mind. 50% ihrer Zeit für die Arbeiten an der Verbesserung des Arbeitssystem aufbringen sollte. In meiner Erinnerung war das bei Henri Fayol, allerdings finde ich einen entsprechenden Hinweis nicht in meinen Notizen wieder. Sehr vage erinnere ich mich auch daran, ähnliche Diskussionen bei Weinberg und/oder anderen Büchern, bspw. aus dem Lean-Umfeld gefunden zu haben.

Zu Arbeiten am System gehören Dinge wie organisatorische Verbesserungen, um den Arbeitsfluss unterbrechungsfreier zu gestalten. Dazu könnten zum Beispiel Umstrukturierungen gehören, Rollenklärungen, oder auch einfach nur das Sammeln von Perspektiven, wie die Arbeit im System gerade abläuft und das Reflektieren und Ableiten von dazugehörigen Verbesserungsmaßnahmen.

Das Arbeiten am Arbeitssystem selbst ist wichtig, weil wir uns sonst in einem stetigen Hamsterrad befinden. Eine sofortige Konsequenz vom Markt in dieser schnelllebigen Zeit ist, ist, dass unsere Konkurrenz uns ab einem gewissen Punkt abhängen dürfte, weil sie sich wesentlich besser zu organisieren wissen. „Stillstand ist der Tod“ wie eine Liedzeile suggeriert.

Schnell taucht dann natürlich die Frage auf, wer sollte jetzt die Verbesserungen am Arbeitssystem vornehmen? Wessen Aufgabe ist das? Nur die des Managers?

Wer sollte am Arbeitssystem arbeiten?

Die Arbeiten von Henri Fayol sind ziemlich alt. Um genau zu sein, veröffentlichte er seine Arbeiten im frühen 20. Jahrhundert. Geprägt von den Sichtweisen zu der Zeit, sieht er einen starken Fokus auf den Managerpersonen in einer Organisation, um das Arbeitssystem zu verbessern.

In heutigen Zeiten finden wir vielfach den Anspruch von selbst-managenden oder sogar self-governden Teams, die nicht nur im System arbeiten, sondern auch die Richtung für ihre Arbeit bestimmen. Bei agilen Vorgehensweisen dienen Retrospektiven dazu, dass Verbesserungspotential in der eigenen Teamarbeit identifiziert und mit Experimenten in der nächsten Zeit versucht wird, Missstände beheben zu können. Der Hintergrund dafür ist, dass Individuen motivierter bei der Arbeit sind, wenn sie ihr eigenes Glückes Schmiedin sind.

Hier macht sich auch die bedeutendste Änderung im (Arbeits-)Zeitgeist deutlich. Aus der vormals von Frederick Winslow Taylor geprägten Arbeitswelt, in der eine Trennung zwischen Denken und Handeln dominierte in Form von den denkenden Managern und den handelnden ArbeiterInnen, hin zu heute eher auffindbaren dynamik-robusten Teamstrukturen moderner Firmen. Natürlich gibt es auch im heutigen Arbeitszeitgeist Grenzen von zugelassener Einflussnahme für die Arbeit am System. In einem agilen Arbeitsumfeld würde ich allerdings auch von dem Team erwarten, dass sie die notwendige Koordination für das Anstoßen von Organisationsveränderungen übernehmen, die sie effektiver arbeiten lassen.

Meine Gedanken zur Kundensituation

In meiner konkreten Kundensituation war ich mit all dem Hintergrund ein wenig verwundert. In aller Kürze befindet sich der Kunde gerade in einer Veränderung. Es existiert ein Team, das diese Veränderung begleitet. Allerdings hat sich nach mehreren Monaten jetzt die Situation eingestellt, dass gefühlt die Luft raus ist aus diesem Veränderungsteam. Nur wenige Schritte in der Veränderungen geschehen in angemessener Zeit, die Personen im Team haben häufig dringendere operative Tätigkeiten auf dem Tisch, so dass die Veränderung schon eine ganze Zeit lang ein wenig vor sich hindümpelt.

Kürzlich brachte der Geschäftsführer der Organisation deshalb einen neuen Vorschlag in das Veränderungsteam ein. Im Kern wird ein neues Team gegründet, mit einigen Leuten aus dem Veränderungsteam und zusätzlichen Leuten in der Organisation, deren Jobbeschreibung beinhaltet, dass sie an der Verbesserung der Organisation arbeiten sollen. Von daher löst sich das Problem, dass kaum jemand Zeit für die Veränderung hat, bereits per Definition. Das bisherige Veränderungsteam soll weiterhin als Einsichten-Gremium für das neue Team fungieren, die das neue Veränderungsteam in gewisser Weise beraten bei den nächsten Schritten.

Allerdings ist die Vision hinter der Veränderung eine stärkere Selbstverantwortung für die Arbeit und die Gestaltung der Arbeit. Gleichzeitig erscheint mir die Aufteilung irgendwo ähnlich wie ein F.W. Taylor sie anstreben würde: eine Trennung von Denken und Handeln innerhalb der Veränderung selbst.

Ich persönlich schaue da mit einem lachenden und weinenden Auge auf die Situation. Das lachende Auge freut sich, dass die Veränderung jetzt mehr Fahrt aufnehmen dürfte und nicht in den operativen Diskussionen untergehen. Gleichzeitig ist meine Wahrnehmung, dass sich einige Personen im bisherigen Veränderungsteam einfach zu viel vorgenommen haben, und in den letzten Monaten vor allem die Veränderung selbst darunter gelitten hat und durch die Änderung jetzt neuen Schwung bekommen kann.

Mein weinendes Auge blickt da etwas kritischer auf die Situation. Eine Neuausrichtung – wie vorgeschlagen – innerhalb der Veränderung entzieht dem bisherigen Veränderungsteam einen Teil der Verantwortung, die es bisher hatte. Diese extern mehr oder weniger auferlegte Änderung im Vorgehen, gleichzeitig hin zu einer selbst-managenden Arbeitsorganisation, ist insofern inkongruent oder auch gefährlich, weil das bisherige Veränderungsteam nicht selbst daran gearbeitet hat, sich mit ihrer schlechten Performance auseinanderzusetzen und das Problem selber zu lösen.

Im Delegationsmodell spricht man hier meiner Meinung nach auch von einer Form des Eingreifens in eine bisherige Delegation. Zumindest sehe ich dazu ebenfalls Parallelen.

Ich fürchte, ich werde noch eine ganze Zeit ein lachendes und weinendes Auge haben, bis sich herauskristallisieren dürfte, welches Auge in der Situation Recht behalten dürfte.

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